„Uran – Der Rohstoff der Machteliten“ – Ein Interview mit Horst Hamm

Nachdem die BSH-Community darüber abgestimmt hat, mehr über die Ressource Uran zu erfahren, haben wir mit Herrn Horst Hamm, dem geschäftsführenden Vorstand der Nuclear Free Future Foundation, ein Interview geführt und nachgefragt...

BSH: Was ist Uran?

Hamm: Rein naturwissenschaftlich betrachtet ist Uran zunächst ein Rohstoff mit der Periodenzahl 92. Alle Elemente darüber hinaus werden als Transurane bezeichnet. Sie sind längst zerfallen und kommen in der Natur nicht mehr oder nur noch in Spuren vor. Uran ist das einzige noch vorkommende Element im Periodensystem, das von selbst zerfällt. Das Radongas, das dabei freigesetzt wird, macht Uran so gefährlich. Wenn Bürgerinnen und Bürger in ihrem Keller messen, stellen sie fest, dass dieses Gas in Spuren vorhanden ist. In den meisten Fällen besteht dabei keine Gefahr. Die Brisanz von Uran liegt in seiner Nutzung bzw. Verarbeitung durch den Menschen und dem Beginn des sogenannten nuklearen Zeitalters.

 

BSH: Was ist das nukleare Zeitalter?

Hamm: Ich springe zurück in das Jahr 1945, als im Rahmen des Manhattan-Projekts die erste Atombombe in der Wüste von Nevada gezündet und später die beiden ersten Atombomben von der US-Armee über Japan abgeworfen wurden. Mit den Bomben auf Hiroshima und Nagasaki wurde der Welt die Zerstörungskraft der neuen Waffe vor Augen geführt. Möglich wurde dies durch den wissenschaftlichen Versuch von Otto Hahn und seinem Mitarbeiter Fritz Straßmann, denen im Jahr 1938 in Berlin die erste Kernspaltung gelang. Ein Jahr später lieferten Lise Meitner und Otto Frisch dafür die kernphysikalische Erklärung. Grundsätzlich kann man sagen, mit dem Abwurf der ersten Bombe wurde die Büchse der Pandora geöffnet und das nukleare Zeitalter begann. Die beiden Blöcke West und Ost entwickelten nach dem Zweiten Weltkrieg ihre eigenen Arsenale zur militärischen Nutzung bzw. zur nuklearen Abschreckung. Um der Gefährlichkeit der Bombendrohung etwas Positives entgegenzusetzen, formulierte der amerikanische Präsident Eisenhower am 8. Dezember 1953 in seiner Rede Atoms for Peace die Vision, mit der friedlichen Nutzung von Uran der gesamten Menschheit Energiereichtum und Wohlstand zu bescheren. Alle großen Industrienationen sind darauf angesprungen, auch wir Deutschen. Calder-Hall 1 in Großbritannien speiste 1956 als erstes kommerzielles Atomkraftwerk Strom ins Netz ein, lieferte aber gleichzeitig Plutonium für Atomwaffen. Deshalb ist die friedliche Nutzung von Uran von der militärischen nicht voneinander zu trennen.

 

BSH: Warum sind militärische Nutzung und friedliche Nutzung nicht voneinander zu trennen?

Hamm: Der Grund für diese enge Verbindung und liegt in der Eigenschaft von Uran: Uran besteht zu 99,3 aus nicht spaltbarem Uran-238 und nur zu 0,7 Prozent aus spaltbarem Uran-235 sowie Spuren von Uran-234. Um Uran friedlich oder militärisch nutzen zu können, muss der spaltbare Anteil angereichert werden. Für die friedliche Nutzung wird Uran-235 auf 3 bis 5 Prozent angereichert, für die militärische Nutzung in einer Uranbombe auf bis zu 85 Prozent. Wer Uran-235 für die friedliche Nutzung anreichern kann, kann es letztlich für die militärische Nutzung auch höher anreichern. Darüber hinaus entsteht in jedem Atomkraftwerk bei der Verbrennung von Uran Plutonium – der Rohstoff zum Bau einer Plutoniumbombe, wie sie auf Nagasaki abgeworfen wurde. Und damit sind wir beispielsweise in der Debatte zum Iran: Mit dem Bau des ersten Atomkraftwerks würde das Land auch Wissen und Material zum Bau einer Atombombe erhalten. 

 

 

BSH: Was war Ihre Motivation, den ersten Uranatlas zu produzieren, der Ende 2025 bereits in der 3. aktualisierten und erweiterten Auflage Ende erscheinen soll?

Hamm: Meine Motivation und die Motivation der Autorinnen und Autoren ist ganz einfach: Wir wollten Daten und Fakten über Uran zusammentragen, um die Diskussion über die militärische und vor allem die friedliche Nutzung von Atomkraft zu versachlichen und über Mythen aufzuklären. Beispielsweise über den Mythos, Atomstrom sei billig. Atomkraft ist mit die teuerste Art, Strom zu erzeugen. In unserem Uranatlas kann dies nachgelesen werden und die im August dieses Jahres veröffentlichte Studie zu „Stromgestehungskosten erneuerbare Energien“ vom Fraunhofer-Institut bekräftigt dies mit aktuellen Daten: Danach liegen die Gestehungskosten der Atomenergie in Deutschland beim Bau eines neuen Atomkraftwerks zwischen 13,6 und 49,0 €Cent/kWh, wobei hier zu berücksichtigen ist, dass externalisierte Kosten wie die Endlagerung der abgebrannten Brennelemente noch nicht einmal berücksichtigt sind. Demgegenüber liegen die Gestehungskosten von PV auf der Fläche in Süddeutschland zwischen 4,1 und 5 €Cent/kWh sowie in Norddeutschland zwischen 5,7 und 6,9 Cent/kWh und sind damit die günstigste Stromerzeugungsart. Kombiniert man dies noch mit Batteriespeichern, um die Grundlastproblematik zu lösen, kommt man laut Fraunhofer auf 6 bis 10,8 Cent/kWh. Aus ökonomischer Sicht ist es nicht nachzuvollziehen, warum Staaten an der Kernenergie festhalten. Es gibt Kritiker, die sagen, es gebe drei Gründe dafür: die Bombe, die Bombe und nochmals die Bombe.

 

BSH: Warum bezeichnen Sie in Ihrem Buch „Das unheimliche Element“, Uran als Rohstoff der Machtelite?

Hamm: Die Europäische Union ist mit ihren Kernkraftwerken die größte Abnehmerin von Uran, hat inzwischen aber alle Uranminen stillgelegt. Nur 31 Länder der Welt nutzen derzeit die Kernenergie, hauptsächlich die Industrieländer. Auf der anderen Seite wurde und wird historisch betrachtet Uran vor allem aus indigenen Gebieten in den USA, Kanada, Australien und Afrika aus dem Boden geholt sowie aus autoritären Staaten. Es besteht ein Ungleichgewicht zwischen den Abnehmern auf der einen Seite, das sind vor allem entwickelte Staaten, und auf der anderen Seite vielen First Nations, die unter dem Rohstoff und seinen Folgen leiden. Diese ungleiche Verteilung der Standorte von Rohstoffproduktion und Atomenergienutzung ist für mich eine koloniale und neokolonialen Ausbeutung der Menschen. Der Abbau des Rohstoffs Uran ist mit tödlichen gesundheitlichen Folgen verbunden. Minenarbeiterinnen und Minenarbeiter sind beim Uranabbau allen gefährlichen Elementen aus der Zerfallsreihe von Uran ausgesetzt, vor allem hohen Konzentrationen von Radongas, so dass ein hoher Anteil der Arbeiterinnen und Arbeiter an Lungenkrebs erkrankt ist. Weil zudem alte Stollen und Abraumhalden nicht fachgerecht versiegelt wurden, müssen die Anwohnerinnen und Anwohner mit den gesundheitlichen Folgen des Uranstaubs leben. Greenpeace veröffentlichte dazu bereits vor fast anderthalb Jahrzehnten den Bericht Left in the Dust. Darin beschreibt die Umweltorganisation die Lebensbedingungen der Menschen, die in den nigrischen Minenstädten Arlit und Akokan leben und jahrzehntelang hauptsächlich Uran für Frankreich aus dem Boden geholt haben. Ein anderes Beispiel ist die Metropole Johannesburg, die weltweit am stärksten mit Uranstaub belastet ist, weil in und um Johannesburg Gold abgebaut wurde und dabei mit jedem Kilo Gold ein Vielfaches an Uran an die Oberfläche geholt wurde. Menschen vor Ort haben mir berichtet, dass Herbststürme den Uranstaub in ihre Häuser trägt und niemand weiß, was er dagegen tun kann. Beim sogenannten In-Situ-Leaching wiederum, einer in den vergangenen 25 Jahren immer häufigeren Methode des Uranabbaus, werden Laugen und Säuren in den Untergrund gepumpt, um Uran herauszulösen, und damit das Grundwasser vergiftet. Das seit über zehn Jahre weltweit größte Uranförderland Kasachstan wendet vor allem diese Abbaumethode an.

 

BSH: Wie sehen Sie vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine nukleare Abrüstungsverträge?

Hamm: Seit dem Angriff auf die Ukraine wird von russischer Seite immer wieder und mehr oder weniger offen mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. Wie realistisch oder wahrscheinlich es ist, dass Russland tatsächlich Atomwaffen einsetzt, kann ich nicht beurteilen, eine Machtdrohung ist die Drohung auf jeden Fall. Wenn die Ukraine nach dem Zerfall der Sowjetunion ihr Atomwaffenarsenal nicht an Russland abgegeben hätte, hätte Russland die Ukraine wahrscheinlich nicht überfallen. Umgekehrt verfügen dadurch zunächst einmal weniger Staaten über Atomwaffen und können nicht damit drohen. Grundsätzlich bin ich zuversichtlich was nukleare Abrüstungsverträge angeht, auch wenn der Ukraine-Krieg derzeit zunächst einmal keine Hoffnung macht. Wenn man sich aber die Geschichte anschaut, hat es große Schritte in Richtung Abrüstung gerade nach Krisen gegeben, weil es auf beiden Seiten Menschen in Führungspositionen gab, die gesagt haben: Stopp, so geht es nicht weiter, wir müssen gegenseitig wieder Vertrauen aufbauen. Das ist sozusagen die Grundlage für Abrüstung: zu sehen, dass wir alle eigentlich woanders hinwollen und es besser ist, Vertrauen aufzubauen. Ich erinnere an den US-Präsidenten Barack Obama, der bereits 2009 die Vision einer atomwaffenfreien Welt entworfen hat. Ich weiß, derzeit modernisieren alle Atommächte ihre Nuklearwaffen und seit dem Ukraine-Krieg spricht erst einmal nichts dafür, dass diese Vision in naher Zukunft Wirklichkeit wird. Aber ich gehe davon aus, dass auch dieser Krieg irgendwann beendet wird. Wie, das weiß ich nicht. Aber ich hoffe, dass die Menschen dann auf beiden Seiten vernünftig genug sind, wieder aufeinander zugehen, Vertrauen aufbauen und einen anderen Weg einschlagen als sich nur gegenseitig zu bedrohen. 

BSH: Wie könnte denn ein Schritt in diese Richtung aussehen? 

Vor allem das Prinzip No First Use, also der Verzicht auf einen nuklearen Erstschlag, wäre ein wesentlicher Schritt in Richtung einer atomwaffenfreien Welt. Unter den fünf offiziellen Atommächten hat bisher nur China verkündet, in jedem Fall auf einen nuklearen Erstschlag zu verzichten. US-Präsident Biden wollte dies ebenfalls tun, hat es aber angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine nicht gemacht. Es wäre ein Schritt in Richtung einer atomwaffenfreien Welt, wenn die westlichen Atommächte einen atomaren Erstschlag ebenfalls ausschließen und so innerhalb der Gruppe der UN-Sicherheitsratsmitglieder den Druck auf Russland erhöhen würden.

--

Das Interview mit Herrn Horst Hamm wurde am 06. September 2024 von Georg Tannen geführt.